UN-Studie zu Vergewaltigung in Asien und dem Pazifischen Raum

      Ausgehend davon, dass es nur sehr wenige Studien gibt, die repräsentativ die Verbreitung von Vergewaltigungen beleuchten, hat sich eine Forschungsgruppe im Auftrag verschiedener UN-Gruppen mit der Frage beschäftigt, wie viele Männer Vergewaltigungen verüben, was die Hintergründe dieser sind, welche Begründungen sie selbst angeben und wer die Betroffenen sind. Ein weiterer Schwerpunkt ist Gewalt in Beziehungen. Die Forschung wurde durch ein regionales Programm der folgenden Institutionen entwickelt: UN Development Programme, UN Population Fund, UN Women und UN Volunteers for the prevention of gender-based violence in Asia and the Pacific in Zusammenarbeit mit dem Medical Research Council of South Africa und den einzelnen Forschungsteams in den verschiedenen Ländern. Die Ergebnisse wurden in zwei Artikeln in einem peer-reviewten Journal im September 2013 publiziert.

      Für die vorliegende Studie wurden an neun Standorten in sechs Ländern im asiatischen/pazifischen Raum – Bangladesch, China, Kambodscha, Indonesien, Papua Neu Guinea, Sri Lanka – im Zeitraum Jänner 2011 bis Dezember 2012 Befragungen durchgeführt. Dafür wurden 12.576 Haushalte angefragt und 10.178 Männer befragt, was eine außergewöhnlich hohe Rücklaufquote bedeutet. Damit haben nur 6,7 Prozent der angefragten Haushalte eine Befragung verweigert. Die interviewten Männer waren zwischen 18 und 49 Jahre alt und wurden über eine mehrstufige Stichprobenerhebung erfasst. Pro angefragtem Haushalt wurde ein Mann befragt – die Wahl hierbei war, wenn notwendig, per Zufall.

      Für die Befragung wurde ein standardisierter und strukturierter Fragebogen verwendet, der von anderen Studien (abbr title="South African Medical Research Council’s Men’s Health and Relationships Study; WHO Multi-country Sudy on Women’s Health and Domestic Violence against Women; International Men and Gender Equality Survey">Sout" African Medical Research Council’s Men’s Health and Relationships Study; WHO Multi-country Study on Women’s Health and Domestic Violence against Women; International Men and Gender Equality Survey) abgeleitet wurde. Die meisten Interviews wurden mit einem männlichen Interviewer im Vier-Augen-Gespräch durchgeführt. Bei besonders sensiblen Fragen wurde eine Technik eingesetzt, bei der die Befragten das Interview selbst durch sprachunterstützte Minicomputer beendeten. Das Wort „Vergewaltigung“ wurde als solches nicht im Fragebogen verwendet, sondern der Begriff wurde operationalisiert auf spezielle Situationen, wie „forced a woman who was not your wife or girlfriend at the time to have sex“.

      Vergewaltigungen von Nicht-Partnerinnen

      In der Einleitung zum Artikel über Vergewaltigungen von Nicht-Partnerinnen wurde auf die einzige zuvor gemachte bevölkerungsbezogene Studie von Männern (in Südafrika) hingewiesen, die zeigte, dass 37 Prozent der Männer zumindest einmal eine Frau vergewaltigt haben. Alle anderen Studien haben zumeist ausschließlich bereits inhaftierte Täter oder Studenten befragt. Bei den verschiedenen zitierten Studien wurden als Schüsselfaktoren zur Verübung von Vergewaltigungen bei den Tätern folgende erörtert:

      • Missbrauch in der Kindheit,

      • Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen,

      • soziale Erlerntheit und Kriminalität,

      • allgemein gültige Männlichkeitsideale, die die Wichtigkeit der heterosexuellen „performance“ und der Kontrolle über Frauen unterstreichen und

      • Substanzmissbrauch.

      In der vorliegenden Studie gaben 10,9 Prozent der Männer an, bereits mindestens einmal eine Frau, die nicht ihre Partnerin ist, vergewaltigt zu haben. Dabei variieren die regionalen Unterschiede stark. Bangladesh hat mit 4,3 Prozent die geringste Rate, Papua Neuguinea die höchste mit 40,7 Prozent, während die anderen Länder zwischen 6,2 Prozent und 12,8 Prozent liegen. Meist agierten die Täter alleine. Die Vergewaltigung in einer Gruppe liegt zumeist zwischen 1 und 2 Prozent – Ausnahme hierbei ist Kambodscha, wo die Vergewaltigung gemeinsam mit anderen Männern (5,2 Prozent) öfter vorkommt als jene alleine (3,1 Prozent). 55,4 Prozent der Täter haben bisher eine Frau vergewaltigt, 28,3 Prozent zwei bis drei Frauen und 16,2 Prozent mehr als vier. 57,5 Prozent der Männer, die eine nicht nahe stehende Frau vergewaltigt haben, haben erstmals als Teenager eine Frau vergewaltigt.

      Die häufigsten Begründungen, Nicht-Partnerinnen zu vergewaltigen, sind:

      • sexuelle Berechtigung/ sexueller Anspruch (73,3 Prozent),

      • Suche nach Unterhaltung (58,7 Prozent),

      • Wut und Bestrafung (37,9 Prozent) und

      • Alkoholeinfluss (27 Prozent).

      Weitere Faktoren, die die Verübung einer Vergewaltigung beeinflussen können, sind:

      • Armut,

      • die eigene Leidensgeschichte (vor allem Missbrauch in der Kindheit),

      • wenig Einfühlungsvermögen,

      • Alkohol und Drogenmissbrauch,

      • Männlichkeitsbilder, die heterosexuelle „performance“ (beispielsweise mehrere Sexpartnerinnen oder -partner oder sexuelle Potenz) betonen,

      • Kontrolle über Frauen und

      • Teilhabe in „Gangs“ sowie an dazugehörigen Aktivitäten.

      55,2 Prozent der Männer, die vergewaltigt haben, fühlten sich schuldig, 35,7 Prozent wurden vom Umfeld bestraft, 32,5 Prozent wurden verhaftet und 22,9 Prozent kamen je ins Gefängnis.

      Gewalt gegen Beziehungspartnerinnen

      Ein großer Teil der Studie beschäftigt sich mit Gewalt gegen Beziehungspartnerinnen, mit der Begründung, dass Gewalt in Beziehungen die häufigste Form von Gewalt gegen Frauen ist. Die Einleitung zu diesem Teil der Studie zitiert Ergebnisse anderer Studien, die aufzeigten, dass Männer von 24 Prozent in Brasilien bis zu 42 Prozent in Südafrika Gewalt gegen ihre Partnerinnen ausüben bzw. ausgeübt haben.

      Steigendes Bewusstsein, dass Prävention von Gewalt gegen Beziehungspartnerinnen die Arbeit mit Tätern inkludiert und die Notwendigkeit von Analysen von Gewalt(-tätern) auf mehreren Ebenen ergibt, sind weitere wichtige Grundlagen für die Studie.

      Ein Ziel der Studie ist das Schließen von Forschungslücken (wie die Befragung von Männern).

      In der Studie wird zwischen physischer Gewalt, sexueller Gewalt, emotionalem Missbrauch und ökonomischem Missbrauch unterschieden. Diese Kategorien wurden zu einem Fragenkatalog operationalisiert. Die Variablen aus diesem Raster sind folgende vier:

      • physische Gewalt,

      • sexuelle Gewalt,

      • physische und sexuelle Gewalt,

      • mehrfache emotionale und ökonomische Gewalt.

      Der Fragenblock der Gewalt innerhalb von Beziehungen wurde bei Männern eingesetzt, die angaben, entweder verheiratet zu sein oder mit einer Partnerin zusammen zu leben oder eine feste Freundin zu haben. Dies betraf 8.006 Männer (von 10.178 befragten).

      21,2 Prozent der Männer in Beziehungen gaben an, bereits physische Gewalt angewendet zu haben. 12,7 Prozent sagten aus, sexuelle Gewalt angewendet zu haben. Beides verübten 11,8 Prozent der befragten Männer. Mehrfach emotionale und ökonomische Gewalt (ohne physische oder sexuelle Gewalt angewendet zu haben) verübten 11,8 Prozent. 42,6 Prozent gaben an, nie Gewalt gegen ihre Partnerin verübt zu haben. Eine Rolle für die ausgeübte Gewalt spielten folgende Faktoren, mehr oder weniger nach Stärke des Einflusses (da dieser regional variiert) sortiert:

      • Einstellung in Bezug auf gender und Beziehungspraktiken (Streitereien, Anzahl an Sexpartnerinnen und -partnern, Sex mit Sexarbeiterinnen, kontrollierendes Verhalten, geringe Geschlechtergerechtigkeit),

      • Viktimisierungsgeschichte (emotionaler Missbrauch in der Kindheit, physischer Missbrauch in der Kindheit, sexueller Missbrauch in der Kindheit, Zeuge von Missbrauch der Mutter, sexuelle Viktimisierung inklusive Vergewaltigung),

      • psychologische Faktoren und Substanzmissbrauch (Depression, Alkoholmissbrauch),

      • soziale Charakteristiken (aktuelle Existenzunsicherheit, kein Schulabschluss),

      • Partizipation in Gewalt außerhalb der Familie (involviert in „Gangs“, involviert in Kämpfe mit Waffen).

      Mögliche Gewaltpräventionsmaßnahmen bei häuslicher Gewalt

      Die Ergebnisse stimmen mit Ergebnissen überein, die aus Studien mit Frauenbefragungen gewonnen wurden. Die Forschungsgruppe hat mögliche Gewaltpräventionsmaßnahmen bei häuslicher Gewalt erarbeitet:

      • Programme über gesunde Kommunikations- und Konfliktbewältigungsfähigkeiten, verbunden mit den Themenkomplexen gender und Rechte

      • sexuelle Gesundheitsdienste und Informationen für junge Menschen

      • in Schulen das Wissen und die Fähigkeiten von jungen Menschen, vor allem Buben, über gesunde sexuelle Beziehung erweitern

      • Kampagnen über die männliche Anspruchsberechtigung bezüglich Sexualität

      • Anbieten von Interventionen, die Männer mit ausgeprägtem Kontrollverhalten ansprechen und unterstützen, positive soziale Normen bezüglich einer Geschlechtergleichstellung aufzubauen

      • Programme für Männer und Buben über geschlechtergerechte Einstellungen und Verhaltensweisen

      • Vermittlung positiver und gewaltfreier Elternschaft, um Kinder in einer gesunden, gewaltfreien und sicheren Umgebung aufwachsen zu lassen

      • Programme zur Bewusstseinssteigerung – gegen gesellschaftliche Toleranz von Gewalt gegen Kinder

      • psychosoziale Programme für Kinder zur Bewältigung von Missbrauchs- und Vernachlässigungserfahrungen

      • Kampagnen zur Bewusstseinssteigerung für Männer über sexuelle Gewalt

      • psychosoziale Unterstützungsservices für männliche und weibliche Betroffene von sexueller Gewalt

      • bessere Erreichbarkeit und Erschwinglichkeit von psychischer Beratung und Begleitung für Männer und Frauen

      • Strategien und Programme zur Verbesserung des Gesundheitswesens sowie Programme über Drogenmissbrauch

      • Strategien zur Reduktion des Zugangs zu Alkohol

      • Strategien und Programme zur Verbesserung der ökonomischen Ermächtigung von Männern und Frauen, verbunden mit einfacherem Zugang zu Krediten, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Berufsfertigkeiten und dem Bezug von angemessenem Gehalt

      • Strategien und Programme zur Sicherung des Zugangs zu sekundären Bildungseinrichtungen für alle

      • Strategien und Programme über kriminelle und organisierte Kriminalität, verbunden mit Rehabilitation von jugendlichen Straftätern und strengeren Waffenkontrollen

      • zielgruppenorientierte Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit zu gewaltfreien Männlichkeitsbildern

      Wichtigkeit sowie Grenzen der Studie

      Einerseits gibt es Grenzen in der Repräsentativität, da neun Regionen innerhalb der sechs Länder nicht überall für das gesamte Staatsgebiet repräsentativ sind. Andererseits ist das Ausmaß der Generalisierung unklar. Eine weitere Unsicherheit entsteht durch die mögliche Dunkelziffer, da die Selbstauskunft bzw. Selbstbeurteilung, gerade im Bereich von sexueller Gewalt, schwierig einwandfrei feststellbar ist. In vier der teilnehmenden Länder wurden auch Studien aus der Perspektive von Frauen durchgeführt und die Zahlen decken sich mit einer relativ niedrigen Varianz. Die Studie ist aus unterschiedlichen Gründen trotz der Grenzen und Unsicherheiten weltweit von Relevanz. Die analysierten Faktoren und Begründungen im Bereich der Vergewaltigungen von Nicht-Partnerinnen decken sich mit Ergebnissen von Studien aus Südafrika und Nordamerika. Weiters leben viele Menschen in dieser Region, und sie ist kulturell divers.

      Die Studie betont die Wichtigkeit Prävention im Kindesalter zu beginnen und langfristige Änderungen in Gesellschaftsbildern und Geschlechterhierarchien sowie in festgefahrenen Strukturen anzustrengen, um Vergewaltigungen entgegenzuwirken. Die Studie hat weiters hervorgehoben, dass die Faktoren, die mit Gewalt in Beziehungen korrelieren, je nach Land unterschiedlich sind und damit aufgezeigt, dass es regionale Unterschiede in den Begründungen und somit in den daraus schlussfolgernden Präventionsmaßnahmen gibt. Die Studie unterstreicht die Wichtigkeit von präventiven Maßnahmen. Dabei sind die wichtigsten Schlagworte:

      • Maßnahmen gegen Geschlechterungleichheiten und Praktiken, die männliche Kontrolle über Frauen legitimieren,

      • Hinterfragen von Männlichkeit als heterosexuelle Dominanz,

      • Interventionen zur Durchbrechung des Missbrauchszyklus in Familien,

      • Verbesserung des Zugangs zum Gesundheitswesen, vor allem bei psychischen Erkrankungen und

      • Thematisieren von Gemeinschaftsgewalt.

      Als neue Erkenntnis (im Gegensatz zu anderen Studien) zeigten sich in der statistischen Auswertung der Daten unterschiedliche Korrelationen in Bezug auf rein physische und rein sexuelle Gewalt gegen Beziehungspartnerinnen. Dies ist insofern interessant, als dass zumeist die beiden Gewaltformen gemeinsam interpretiert werden, die Begründungen in dieser Studie jedoch Unterschiede in der Beeinflussung aufweisen und damit auch unterschiedliche Präventionsmaßnahmen angedacht werden sollten.

      Physische Gewalt (ohne sexueller) gegen Beziehungspartnerinnen wird assoziiert mit geringer Bildung, Erfahrungen von physischer und emotionaler Viktimisierung in der Kindheit, Attitüde der Geschlechterungleichheit, Konflikte innerhalb der Beziehung, Depressionen und Alkoholmissbrauch.

      Sexuelle Gewalt (ohne physischer) gegen Beziehungspartnerinnen wird assoziiert mit Erfahrungen von sexuellem und emotionalem Missbrauch in der Kindheit (aber keinem physischem), mehreren sexuellen Partnerinnen und Partnern, in Anspruch Nehmen von sexuellen Handlungen im Tausch gegen Geld oder Waren, aber nicht mit einer Attitüde der Geschlechterungleichheit. Damit interpretiert die Forschungsgruppe, dass die Verübung von sexueller Gewalt bezeichnend ist für eine Beschäftigung mit der Demonstration von (hetero-)sexueller Performance und sexueller Dominanz über Frauen. Weiters korreliert sexuelle Gewalt mit der Involviertheit in Gangs sowie Kämpfen mit Waffen. Damit ist sexuelle Gewalt verbunden mit Normen von Männlichkeitsbildern, die Härte und Dominanz über andere Männer assoziieren. Faktoren, die sexuelle Gewalt ohne physischer gegen Beziehungspartnerinnen beeinflussen, scheinen damit ähnlicher jenen zu sein, die sexuelle Gewalt gegen Nicht-Partnerinnen beeinflussen als jenen, die physische Gewalt ausüben. Damit wird vermutet, dass Männer, die „nur“ sexuelle Gewalt verüben, spezielle Interventionen benötigen.

       

      Quelle:

      Emma Fulu, Rachel Jewkes, Tim Roselli, Claudia Garcia-Moreno (2012): Prevalence of and factors associated with male perpetration of intimate partner violence: findings from the UN Multi-country Cross-sectional Study on Men and Violence in Asia and the Pacific, on behalf of the UN Multi-country Cross-sectional Study on Men and Violence research team*. The Lancet Global Health, Volume 1, Issue 4, Pages e187 - e207, October 2013, online abrufbar unter: http://www.thelancet.com [Studie aus 2012, veröffentlicht 2013]


      Die Zusammenfassung der Studie können Sie hier downloaden: Zusammenfassung

      Den Artikel auf Englisch können Sie hier downloaden: Artikel

      Femizide und Mordversuche 2024

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      Stand: 15.4.2024

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