PA 02.05.2017 20 Jahre Gewaltschutzgesetze – ein klares politisches Bekenntnis gegen Gewalt in der Familie und eine frauenpolitische Errungenschaft

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      Vor 20 Jahren – am 1. Mai 1997 – trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Dieses Gesetz war und ist ein großer Erfolg im Opferschutz und ein Meilenstein in der Gewaltprävention – in vielerlei Hinsicht: Es stärkt Gewaltbetroffene und deren Rechte und nimmt Gewaltausübende in die Verantwortung. Österreich gilt hier als internationales Vorbild und nimmt seither eine klare Haltung gegen Gewalt im privaten Bereich ein.

      Das neue Gewaltschutzgesetz ist das Resultat einer langen, unermüdlichen und engen Zusammenarbeit der Frauenhausmitarbeiterinnen mit den Gewaltschutzzentren, den Interventionsstellen, der Polizei, Politik und Justiz. Mitte der 1980er Jahre haben die Frauenhäuser begonnen mit der Polizei zu kooperieren und gemeinsame Schulungen und Fortbildungen abzuhalten. Ab den 1990er Jahren wurde das Thema Gewalt in der Privatsphäre in der Ausbildung der Exekutive fix verankert. Die Polizei als Partner hat schnell erkannt, dass Gewalt in der Familie ein komplexes Thema ist, das nur in Zusammenarbeit mit kompetenten Opferschutzeinrichtungen und staatlichen Stellen gelöst werden kann.

      Gewalt an Frauen ist kein Tabuthema mehr

      Die Implementierung der Gesetze führte zu einem entscheidenden Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft. Lange Zeit war Gewalt in Österreich ein Tabu, es galt als individuelles Problem der Frau als Betroffene. Nun aber muss nicht mehr das Opfer von familiärer Gewalt die Wohnung und das eigene Heim verlassen, sondern die gewaltausübende Person. Sie wird zur Verantwortung gezogen und hat mit Sanktionen zu rechnen – nach der damaligen Devise „Der der schlägt muss gehen“. Gewalt an Frauen und Kindern innerhalb der Familie wurde damit erstmals als ein politisches Problem anerkannt.

      Hohes Ausmaß der Gewalt an Frauen und Kindern

      Das Gewaltschutzgesetz zeigt, wie hoch das Ausmaß der Gewalt in der Familie tatsächlich ist. Aktuell werden jährlich mehr als 8.000 Wegweisungen und Betretungsverbote von der Polizei ausgesprochen und durchgeführt. Das bedeutet, dass die Polizei täglich etwa 22 Mal bei Gewalt in der Familie im Einsatz ist. Insgesamt wurden von Mai 1997 bis Ende Dezember 2015 in Österreich insgesamt 107.069 Wegweisungen bzw. Betretungsverbote verhängt.
      Es verdeutlicht vor allem, dass Frauen und Kinder überdurchschnittlich Opfer von familiärer Gewalt und Männer sowie männliche Familienmitglieder die Gewaltausübenden sind. Mehr als 90% der Weggewiesenen sind Ehemänner, Ex-Partner oder Lebensgefährten der Frauen und Väter der Kinder.

       

      Frauenhäuser sind wichtiger denn je

      Frauenhäuser sind nicht obsolet geworden – ganz im Gegenteil, sie sind trotz Gewaltschutzgesetze wichtiger denn je. Jährlich erhalten mehr als 3.000 (im Jahr 2016 waren es insgesamt 3.261) Frauen und deren Kinder Schutz, Sicherheit und umfassende Betreuung in den österreichischen Frauenhäusern. Der Auslastung der Frauenhäuser ist hoch und die derzeit vorhandenen 766 Plätze sind immer noch nicht ausreichend. Die Notwendigkeit der Erhöhung der verfügbaren Plätze zeigen aktuelle Statistiken: 2016 konnten 336 Frauen nicht aufgenommen werden.
      Die anfänglichen Befürchtungen oder Vermutungen, dass Männer nach einer Wegweisung auf der Straße stehen würden, haben sich nicht bewahrheitet. Gewaltausübende Männer werden informiert, finden Unterkünfte und können sich an Männerberatungsstellen wenden.

      Laufende gesetzliche Verbesserungen

      Eine weitere wichtige Tatsache und Errungenschaft ist auch, dass die Gewaltschutzgesetze laufend reformiert und im Sinne des Opferschutzes verbessert wurden. Politik, Polizei und Justiz haben die Erfahrungen aus der Praxis der Opferschutzeinrichtungen ernst genommen und die Gewaltschutzgesetze mehrfach novelliert. 2013 wurde auch die Sicherheit der Kinder durch das Betretungsverbot an Schulen, institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen oder Horts samt Umkreis von 50 Metern verbessert.
      Zusätzlich zu den Gewaltschutzgesetzen wurden die Opferrechte im Straf- und Zivilrechtsverfahren verbessert, wie etwa durch kostenlose juristische und psychosoziale Prozessbegleitung oder durch die Strafprozessnovelle 2006, das Anti-Stalking-Gesetz und zuletzt durch die Änderung des Strafrechtgesetzes 2016 bezgl. sexueller Selbstbestimmung und sexueller Belästigung im öffentlichen Bereich.

      Ein frauenpolitischer Erfolg in vielerlei Hinsicht

      Gewaltbetroffene Frauen wurden ermutigt und gestärkt, vor allem auch durch die zeitgleiche Errichtung von Interventionsstellen bzw. Gewaltschutzzentren in allen Bundesländern. Ihre Arbeit zeigt, wie notwendig es ist, Opfer in dieser schwierigen Situation nicht alleine zu lassen. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Gewaltschutzzentren, Polizei und Frauenhäusern erhalten gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder umfassenden Schutz, rechtliche Beratung und Unterstützung, insbesondere hochrisikogefährdete Frauen. Fortbildungen, Schulungen und die enge Vernetzung und Zusammenarbeit haben auch ergeben, dass Gefährlichkeitseinschätzungen verbessert und Wegweisungen und Betretungsverbote von der Polizei ernster genommen und daher schneller ausgesprochen werden. Auch die bundesweite Frauenhelpline gegen Gewalt mit der kostenlosen Nummer 0800/222 555, die 1998 errichtet wurde, hat zur adäquaten Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen beigetragen.

      Weitere Verbesserungen sind notwendig

      Trotz der Erfolge sind weitere Verbesserungen im Gewaltschutz dringend notwendig. Vor allem bei sehr gefährlichen Tätern gibt es seitens der Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sehr viele Einstellungen und Freisprüche, trotz hohem Gefährdungspotenzial. So wird eine U-Haft noch immer viel zu selten verhängt, was dazu führt, dass Opfer von Gewalt weiterhin in Angst leben müssen und gefährdet sind, verletzt oder gar getötet zu werden. Seitens der Polizei sollte größte Priorität auf Sicherheit und Schutz des Opfers gelegt werden, z.B. im Bedarf auch durch Notfall-Sicherheitskontrollen. Eine weitere Lücke besteht darin, dass es im Rahmen der polizeilichen Wegweisung bzw. des Betretungsverbotes keine gesetzliche Möglichkeit zur Verhängung eines Kontaktaufnahmeverbots des Täters zum Opfer gibt.

      Darüber hinaus würde es sich günstig auf den Schutz von Frauen und Kindern auswirken, wenn sich die Gewalttäter – ähnlich wie bei Schule, Kindergarten bzw. Hort – auch im Wohnbereich nur bis zu 50 Meter nähern dürfen. Antigewalttrainings müssen verpflichtend eingeführt werden und Verstöße gegen ein Betretungsverbot oder eine Einstweilige Verfügung sollten als strafrechtliches Vergehen nach dem StGB gelten. Geldstrafen allein sind nicht ausreichend und wirkungsvoll genug.

      Verpflichtende Fortbildung für die Justiz, insbesondere bei der Gefährlichkeitseinschätzung, ist dringend erforderlich, um Opfer besser zu schützen. Durch die Kinderschutzgruppen und die gesetzlich geforderten Opferschutzgruppen in den Krankenanstalten konnte bereits ein gewisses Bewusstsein im Umgang mit Gewaltopfern erzielt werden, bei niedergelassenen Haus- und FachärztInnen und PsychotherapeutInnen gibt es jedoch noch Nachholbedarf.

      Benachteiligungen erfahren immer noch Migrantinnen, die aus zahlreichen Gründen gezwungen sind länger in Gewaltbeziehungen zu bleiben, sei es aufgrund ihres Visums als Familienangehörige oder weil sie einen Bezug der Bedarfsorientierten Mindestsicherung erst nach fünf Jahren Aufenthalt erhalten. Aber auch gewaltbetroffene Frauen, die meist zu Alleinerzieherinnen werden, erfahren vielfache Benachteiligungen durch fehlende Kinderbetreuungsplätze, familienfeindliche Arbeitszeiten, Armutsgefahr durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, uvm. Dazu kommt generell, dass leistbare Wohnungen rar und Therapieplätze kaum vorhanden sind oder dafür lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen.

      Alle Forderungen und Verbesserungsvorschläge im Gewalt- und Opferschutz sind im österreichischen NGO-GREVIO-Schattenbericht, der gemeinsam mit 30 Opferschutzeinrichtungen erarbeitet wurde, nachzulesen: Download PDF (8 MB)

       

      Rückfragehinweis
      Maria Rösslhumer: 0664 793 07 89, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
      Eva Zenz: 01 544 08 20-23, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
      Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser – AÖF
      Web: www.aoef.at

      Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800/222 555

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